Missverständnisse (Kapitel 6)

George hatte sich auf ihr Bett gelegt. Sie konnte es nicht fassen. Warum machte immer ein Zwilling alles zunichte? Immer ein Zwilling! Die Strafe an sich machte ihr nicht so viel aus, damit hatte sie gerechnet. Das einzige Problem für sie war, dass sie so Svenja und Mike nicht ausweichen konnte.
Und wer sich jetzt um Sammy kümmern sollte fragte sie sich auch.
Aber was wohl am schlimmsten für sie war, war, dass Luy nicht verstand, dass sie nicht Georgina war, sondern George. Aber das schien niemand hier zu verstehen. Niemand! Und darüber konnte sie sich stundenlang aufregen. Sie beschloss, dass sie nichts von dem tun würde, was man von ihr verlangte, wenn man sie nicht George nannte. Zwar könnte sie so mächtig Ärger bekommen, aber Ärger bekam sie ja eh öfters zu Hause, wenn sie zum Beispiel Quentin erboste oder so.
Und Freunde… Freunde würde sie hier wohl nicht finden…
Plötzlich knurrte George’s Magen.  Das Mädchen stand auf und ging zu ihrem Rucksack. Sie durchwühlte ihn, bis sie die belegten Brote von ihrer Mutter gefunden hatte. Sie wickelte sie aus der Alufolie und begann, das Erste zu verspeisen. Dabei krümelte sie ein bisschen, aber mit Absicht. Denn Tim und Lucky stürzten sich sogleich auf die Krümel und fraßen sie auf.
George lächelte, als sie sah, wie sich Tim und Lucky um den letzten Krümel stritten. Schließlich gelang es Tim, Lucky wegzudrängen und den Krümel schnell in seinem Maul verschwinden zulassen.
Lucky bellte empört und George lachte.
Sie strich ihm durch sein Fell und er setzte sich entspannt hin. Sie begann, ihn zu kraulen und er ließ es sich gefallen. Er drückte sich sogar an Georges Hand, damit sie ihn bloß weiterstreichelte. Tim sah die beiden mit schiefgelegtem Kopf an und sprang schließlich neben George auf das Bett. Dann bellte er fordernd und schmiegte sich an das Mädchen. George grinste.
„Jaja“, meinte sie. „Ich komm ja schon.“
Und schon kraulte sie mit der rechten Hand Tim und der linken Hand Lucky.
Beide Hunde winselten zufrieden.
Plötzlich ging die Tür des Wagens auf und George erstarrte. Dann kamen Mike und Svenja herein, sie unterhielten sich gerade, und setzten sich auf ihre Stühle. George fing sich wieder und streichelte ihre beiden tierischen Freunde weiter.
Sie schenkte den beiden Kindern keine Beachtung.
Mike verstummte und sah George an. Svenja tat es ihm nach. Und George ignorierte sie. Mike schien zu überlegen. Svenja sah zwischen Mike und George hin und her und immer wenn sie zu dem Jungen sah, schien ihr Blick zu sagen: Mach was!
„Ähm…“, begann Mike. „Georgina…“
George hob nicht einmal den Kopf und in Gedanken sagte sie: Ich bin nicht Georgina, wie oft noch! Also streichelte das Mädchen weiter ihre beiden Hunde, als hätte niemand etwas gesagt.
„Georgina“, sagte Svenja. „Wir…na ja. Wir wollten uns entschuldigen.“
George blinzelte nicht einmal bei den Worten und tat ihre derzeitige Beschäftigung weiter.
„Hörst du uns überhaupt zu?“, fragte Mike und stand auf.
„Was?“, fragte George und tat erstaunt, dass man mit ihr redete.
Svenja schnaubte. „Du hast schon richtig gehört.“
„Was?“, wiederholte George.
„Georgina! Hör auf uns zu veräppeln!“, meinte Mike mit ein wenig Zorn in der Stimme.
„Tim, hast du das auch gehört?“, fragte George und lächelte ihren Freund an. „Hat da eben wer gesprochen?“
Mike sowie Svenja sahen das Mädchen entgeistert an.
„Ja, wir haben mit dir gesprochen!“, meinte Mike empört. „Tu nicht so als ob du uns nicht hören würdest!“
„Warum ignorierst du uns einfach?“, fragte Svenja. „Es tut uns Leid!“
„Wer ignoriert wen?“, erwiderte George. Sie sagte das so, als ob sie das eben gelesen hätte, nicht als ob sie es zu den beiden gesagt hätte.
„Wie jetzt? Heißt das, wir ignorieren dich?“, fragte Mike verwirrt.
„Ach Tim… Ach Lucky… Ob man uns mal zuhören könnte?“, fragte George unberührt ihre Hunde. Lucky bellte. „Ich hatte es ja gesagt, oder? Ich hatte es gesagt. Aber natürlich, man muss mir nicht zuhören.“
Mike und Svenja hoben eine Augenbraue und sahen George perplex an.
„Hör verdammt noch mal auf mit…mit…dieser Show!“, rief Mike aufgebracht. „Sprich mit uns, ordentlich.“
„Bitte“, bat Svenja.
George aber hatte keine Lust. Sie hatte den beiden eben einen Hinweis gegeben und das war schon nicht ihre Art, also ließ sie es erst Recht, jetzt irgendwas zu sagen.
„Wer zuhören kann ist klar im Vorteil…“, murmelte sie dennoch.
Dann wühlte sie in ihrem Rucksack und zog einen MP3 Player hervor. Sie steckte sich die Kopfhörer in die Ohren, machte es sich auf dem Bett gemütlich und lauschte entspannt ihrer Lieblingsmusik.
Tim und Lucky setzte sich neben sie und legten ihre Köpfe auf ihre Pfoten.
Mike  und Svenja sahen George fassungslos an, dann drehten sie sich um und verließen den Wagen.

„Was sollte das denn heißen?“, fragte Svenja Mike, als sie wieder vorne saßen und das Pferd lenkten. „Wer zuhören kann ist klar im Vorteil?“
„Ich weiß nicht“, meinte Mike unentschlossen. „Vielleicht wollte er, sorry, sie uns damit sagen, dass sie uns schon mal etwas gesagt hat, was wir nur nicht gehört haben, und was ihr Verhalten erklären würde…“
„Wie jetzt?“, stammelte Svenja. „Sie hat uns schon mal gesagt, warum sie uns nicht zuhört?“
„Na ja, vermutlich indirekt.“
Svenja seufzte. „Und wie sollen wir das rauskriegen?“
„Indem wir unsere Gespräche mit ihr noch einmal durchgehen“, schlug Mike vor.
„Genau!“, meinte Svenja. „Du fängst an.“
„Warum ich?“
„Weil du es vorgeschlagen hast.“
„Mann… Na gut. Als Erstes haben wir uns vorgestellt.“
„Da willst du anfangen?“, fragte Svenja und sah ihn fragend an. „Meinst du wirklich?“
„Na ja, hast du eine bessere Idee?“
„Hm…nein.“
„Gut, was haben wir dann gemacht? Ihre Hunde gestreichelt, oder?“
„Genau und Georgina hat erzählt, dass ihre Hunde Tricks können und so. Wir haben uns kurz allgemein über Hunde unterhalten und…“, Svenja brach ab. Sie hätte Mike am liebsten gefragt, was mit seiner Familie los war. Er hatte davon angefangen, aber nicht weitergeredet. Auch jetzt sah der Junge wieder weg.
„…und sie hat uns gefragt, was wir hier so machen“, beendete Mike leise und wich Svenjas Blicken aus. „Dann darüber, wann wir schlafen und essen und das Georgina mit ihren Hunden bei Nils‘ Show-Programm mitmachen könnte. Dann hat sie uns von ihrem Pferd erzählt.“
„Und anschließend haben wir rumgealbert. Übrigens erklärt das jetzt, warum Georgina ein Pferd hat. Weil sie ja doch ein Mädchen ist.“
„Jaja. Wir haben dann über die Künstlernamen gesprochen“, fuhr Mike nachdenklich fort. „Wie Georgina sich dann wohl nennt? Deshalb wollte sie vermutlich noch Zeit haben…“
„Danach haben wir uns draußen unterhalten. Oh Gott…über alles Mögliche!“
„Ja…“, meinte Mike. „Sie hat auf jeden Fall von ihrem Abenteuer mit den drei Geschwistern erzählt, wie hießen sie? Ah ja, richtig: Julius, Richard und Anne.“
Svenja nickte. „Da hatte sie sich so begeistert und auch sehnsüchtig angehört“, bemerkte sie.
„Es muss schön sein, ein Abenteuer mit Freunden zu erleben“, sagte Mike zustimmend. „Aber, hatte sie nicht davon gesprochen, dass sie sich am Anfang gar nicht mit den Geschwistern verstanden hatte? Und sie sich erst im Laufe des Abenteuers befreundet hatten?“
„Ja, aber was soll das heiß-“, meinte Svenja und brach mitten im Satz ab. „Du meinst, dass die Geschwister dasselbe Problem hatten?“
Mike nickte. „Sie hat uns nichts davon gesagt, dass sie ein Mädchen ist. Das muss sie bei den Geschwistern auch getan haben! Oder zumindest versucht haben!“
„Gut, weiter in dem Verlauf unserer Gespräche“, meinte Svenja. „Wir haben über den Zirkus und die verschiedenen Berufe gesprochen.“
„Und George hatte gesagt, dass er Zirkuskönig werden wollte“, meinte Mike und vergaß, dass sie ja Georgina und nicht George hieß.
Und jetzt fiel es Svenja wie Schuppen von den Augen.
„Na klar!“, rief sie aus.
„Was?“, fragte Mike irritiert.
„Du hast es eben gesagt“, lächelte sie.
„Wie, ich?“, fragte er.
„Ja, du!“, lachte Svenja.
„Was hab ich denn eben gesagt?“
„Das George“, sie betonte George, „gerne der Zirkuskönig werden wollte, oder sie gerne der Zirkuskönig werden wollte? Keine Ahnung wie man das sagt…“
„George…?“, wiederholte Mike. „George...Genau! George.“
Svenja lächelte. „Kurz nachdem wir sie zur Rede gestellt hatten, hatte sie uns doch erklärt, dass sie George ist und nicht Georgina!“
„Ja! Das heißt, weil wir sie immer Georgina genannt haben, hat sie nicht reagiert. Sie wollte uns zeigen, wer sie ist. Sie ist wahrlich kein Mädchen. Zumindest kein normales. Sie will ein Junge sein, um jeden Preis.“
„Deshalb hat sie uns auch angelogen. In der Hoffnung, wir würden glauben sie sei ein Junge und wir sind drauf reingefallen!“
„Aber, ganz ehrlich. Sie hat uns nicht angelogen, oder?“, meinte Mike vorsichtig.
„Was meinst du?“
„Wir haben sie nicht gefragt, was sie ist. Wir haben nur nach ihrem Namen gefragt und den hat sie uns gesagt. Es war ganz allein unsere Schuld, dass wir glaubten, sie sei ein Junge. Sie hat uns nicht belogen.“
Svenjas Wangen wurden rot. „Sie hat uns nicht angelogen“, stimmte sie zu. „Aber wir haben sie deshalb beschimpft.“
„Wir müssen uns entschuldigen!“
„Ja, das müssen wir wohl und dann, dann können wir mit ihr befreundet sein, wenn sie es noch will.“
„Wenn sie es noch will“, murmelte Mike. „Hoffentlich, denn eigentlich…ist sie ja ganz cool.“

© by George28

Kommentare: 6 (Diskussion geschlossen)
  • #1

    Hannes (Samstag, 12 Oktober 2013 23:31)

    WOW!!!! RICHTIG TOLL

  • #2

    George28 (Sonntag, 13 Oktober 2013 12:07)

    Danke :) Ich weiß nicht, ob ich heute noch ein Kapitel schaffe... Ich werde es versuchen :) Aber versprechen kann ich nichts.
    Und ab morgen habe ich wieder Schule, und da darf ich nur 2 Stunden am Tag ins Netz und an den Rechner... Es kann also ab jetzt dauern.

  • #3

    Hannes (Sonntag, 13 Oktober 2013 16:15)

    Macht nichts, dann hat man was worauf man sich freuen kann.
    PS: Die Zwillinge erinnern mich an die Zwillinge aus 5 freunde und das burgverlies.

  • #4

    George28 (Sonntag, 13 Oktober 2013 19:50)

    Kann sein, ich hatte voll Lust auf Zwillinge ;) Und ja, so wird dass hier halt ;)

  • #5

    Marlene (Mittwoch, 24 Dezember 2014 21:40)

    Klasse!

  • #6

    Magda:) (Samstag, 18 Juni 2016 18:12)

    Von diesem Buch kommt man nicht los