Von Mephisto bis zu den Zwillingen (Kapitel 11)

George überlegte, ob sie in den Käfig reingehen sollte. Mephisto würde ihr nichts tun, dass wusste sie. Aber was sie in seinem Käfig machen könnte, wusste sie nicht. Sie musterte den Schlafplatz von ihrem Freund und runzelte die Stirn. Da war ja überall Dreck! Prüfend ging sie zu den Käfigen der weiblichen Löwen. Nein, die waren sauber…
Wurde Mephistos Käfig nicht sauber gemacht? Oder hatten Vagna und Glasir keine Chance gehabt, es zu machen? Weil Mephisto sie angefallen hätte? Sicherlich. Also fasste das Mädchen kurzerhand einen Entschluss. Sie würde den Käfig sauber machen. Sie holte eine Schippe, mit der man normalerweise Schnee im Winter wegschob, und eine Harke sowie einen sehr großen Eimer. Außerdem nahm sie noch eine Bürste mit, um Mephisto zu putzen.
Dann ging so vorsichtig in Mephistos Käfig hinein. Ihre Haut kribbelte vor Erwartung und Nervosität. Es war nicht wirklich sicher, ob Mephisto sie nicht angreifen würde…oder? Aber als sie das Gittertor hinter sich wieder schloss, blieb Mephisto vollkommen gelassen sitzen, stand dann aber auf und kam zu George, um sich liebevoll an sie zu schmiegen. Sie lächelte, stellte die Sachen ab und kraulte Mephistos kräftige Mähne. Wieder ertönte ein lautes Schnurren und Mephisto drückte sich immer mehr an George, sodass sie beinahe umkippte.
Dann begann sie, zu putzen. Sie harkte das dreckige Stroh zusammen und stopfte die ersten Teile in den Eimer. Zwischendurch leerte sie den Eimer immer wieder aus, Mephistos blieb, wo er war und beobachtete George aufmerksam. Das Mädchen arbeitete mindestens fünfzehn Minuten angestrengt und konzentriert, jedes Stück Dreck zu säubern. Dabei bemerkte sie gar nicht das Vagna und Glasir sie beobachteten. Beide lächelten und sahen sich vielsagend an.
Als George fertig war, sah sie sich suchend nach frischem Stroh um. Aber da war nichts. Dann entdeckte sie Vagna und Glasir. Sie verließ Mephistos Käfig und ging zu den beiden.
„Wo gibt es frisches Stroh?“, fragte sie.
„Komm, ich zeig es dir“, bot Glasir an. Er ging vor und George folgte ihm. Glasir führte George zu einem großen Wagen, der zu ihrem Erstaunen mit sämtlichen Strohballen beladen war. Das hatte sie gestern gar nicht gesehen. „Hier holen wir das Stroh für alle Käfige“, erklärte Glasir. „Auch die Dresseure nutzen es, andere Stoffe wären um einiges teurer und deshalb nutzen wir die altmodische Methode. Das Stroh.“
George nickte. „Und wie soll ich das zu Mephistos Käfig bringen?“
„Siehst du den Handwagen da? Du kannst mit der Harke einen  Strohballen soweit zerpflücken und es auf den Karren laden, dass du den Handwagen voll bekommst. Es ist nicht schwer, ihn zu ziehen.“
„Gut, bis gleich.“ Damit begab sich George wieder an die Arbeit. Eine Harke stand bereits bei dem Wagen und mit dieser belud sie ihn. Als er voll genug war, zog George den Karren. Er war aus Holz und recht groß, aber schwer war er tatsächlich nicht. Und das Stroh würde bestimmt für Mephistos Käfig reichen.
Sie zog den Wagen also problemlos über die Wiese, mit seinen vier Rädern war es nicht schwer. Vor Mephistos Käfig blieb sie stehen. Sie sah Mephisto an.
„Bleib bitte da drin, ja?“, bat sie und öffnete seinen Käfig. Mit der Harke schob sie das Stroh in den Käfig, bis der Wagen leer war, und verteilte es dann. Mephisto gehorchte. Er blieb sitzen und als das erste Stroh verteilt war, machte er Platz, damit George auch da etwas hinmachen konnte.
George brachte anschließend den Handwagen zurück und kümmerte sich dann um Mephisto. Sie nahm die Bürste und fing an, sein Fell von Dreck und Knoten zu befreien. Er blieb zufrieden liegen, postierte sich nur immer wieder anders, damit George überall rankam. Sie bürstete sehr lange sein goldenes Fell, kämmte sogar seine braune, buschige Mähne. Dann lehnte sie sich erschöpft an ihn. Er schnurrte leise und schloss die Augen. George war so erschöpft, dass auch sie die Augen schloss und ein Nickerchen machte.

Als plötzlich eine Zunge ihr Gesicht abschleckte, schreckte sie auf und sah, in Erwartung Tim oder Lucky vor sich zu haben, das Tier an. Erst dann erkannte sie Mephisto, lächelte und kraulte ihm den Hals. Der Löwe erhob sich und schüttelte sich. Auch George stand auf, gähnte einmal kurz und verließ dann Mephistos Käfig.
Der Löwe sah ihr wieder etwas enttäuscht nach, setzte sich dann aber hin und wirkte zufrieden, dass sie bei ihm gewesen war.
George wollte Mephisto noch füttern, dann musste sie auch mal bei Svenja und Mike vorbeisehen. Sie wollte unbedingt sehen, wie die beiden übten und was sie schon alles konnten. Als Vagna ihr geholfen hatte, Fleisch zu besorgen und Mephisto zu füttern, begab sich das Mädchen als erstes zum großen Zirkuszelt. Sie vermutete, dass Svenja dort lernte. Und als sie leise eintrat, blieb ihr die Luft weg. Verdutzt sah sie zur Zirkusspitze, wo ihre Freundin gekonnt ihre Balance auf dem langen Seil ganz weit oben hielt und kleine Kunststücke vollführte. Svipa, jedenfalls dachte George, dass es Svipa war, stand ebenfalls da oben, aber nicht bei dem Seil sondern bei der Befestigungsanlage, von wo man das Seil betrat. Sie schien Svenja etwas zuzurufen, aber George verstand nur wenig, da sie einen ganz schön starken Akzent hatte. Svenja jedenfalls schien sie zu verstehen und vollführte immer wieder etwas anderes. Sie wirkte hochkonzentriert und als George sich besorgt umsah, ob Svenja denn gesichert wäre, erkannte sie ein Netz unterhalb des Seils. Puh, würde Svenja das Gleichgewicht verlieren, könnte sie sich nicht verletzen. Erleichtert stieß George die Luft aus.
Und als sie Svenja zusah, wurde sie immer mehr darin bestärkt, dass sie da oben lieber nicht turnen würde. Hinüberbalancieren, ja, dass wäre ein Adrenalinkick, aber turnen? Kunststücke? Nein! Das war George dann doch zu heikel.
Eine Weile beobachtete sie ihre Freundin und versuchte nebenbei herauszufinden, was für einen Akzent Svipa hatte. Es klang irgendwie nach Französisch. Andauernd mischte sie in das Deutsch französische Wörter, so hörte es sich jedenfalls an. Dann kamen die beiden von oben hinuntergeklettert. Svenja war durchgeschwitzt und schien allen Anschein nach nicht mehr zu können.
„George!“, meinte sie überrascht. „Was machst du den hier?“
„Zugucken“, lachte George. „Das sah super aus!“
„Wirklich?“, Svenja wurde rot.
„Würde ich sonst so etwas sagen?“
„Das hat Svenja wirklich super gemacht“, sagte Svipa, dabei sprach sie das u als ü aus und das r zog sie lang. Ja, das war eindeutig Französisch, stellte George fest.
„Kommen sie aus Frankreich?“, fragte George deshalb neugierig.
„Ach…das wäre beau…mais non. Ich komme aus Deutschland, meine Maman allerdings kam aus Francais.“ George grinste. ‚Beau‘ und ‚mais‘ hießen ‚schön‘ und ‚aber‘. Und auch Mama sprach Svipa sehr…sagen wir mal, es klang sehr elegant.
„Ach so“, meinte das Mädchen schnell. „Also können sie Französisch und Deutsch?“
„Aber natürlich“, meinte Svipa, beinahe beleidigt.
„Wir sollten dann mal Mike suchen gehen“, meinte Svenja hastig und zog George aus dem Zelt. Sie wusste, wie schnell ihre Lehrerin gekränkt sein konnte. Und Beleidigungen, die sie als solche empfand, verzieh sie meistens erst nach frühestens zwei Tagen.
Svenja und George suchten nach Mike. Sie fanden ihn schließlich bei Ernir. Beide blödelten herum, legten sich gegenseitig rein. George bemerkte aus den Augenwinkeln eine Bewegung.
„Ich komme gleich nach“, sagte sie zu Svenja, dann folgte sie unbemerkt dem Schatten, der zwischen den Wagen verschwand. Wer war das? Und warum verschwand er so plötzlich? Hatten sie ihn überrascht? Wollte er nicht gesehen werden?
Lautlos folgte George dem Unbekannten. Bis er hinter der ganzen Reihe von Wagen stehen blieb. Auch George blieb stehen, versteckte sich aber bei einem der Wagen im Schatten.
„Ich will Clown sein!“, meinte jemand beleidigt, der George wohlbekannt war. Finn! „Ernir kann das so gut und warum darf der Junge das lernen und ich nicht?“
„Weil wir hier wegen etwas anderem sind! Wenn wir das hier ordentlich durchziehen sind wir bald steinreich!“, meinte Boost mit seiner tiefen Stimme.
Hatte ich doch den richtigen Riecher gehabt, dachte George triumphierend und lauschte weiter.
„Was hast du jetzt rausbekommen?“, wollte Boost wissen. „Und hat dich jemand gesehen?“
„Gesehen hat mich niemand, da kamen nur ein Gör und ein Bengel“, meinte Finn selbstzufrieden. „Da bin ich schnell abgehauen.“ Wenn der wüsste, dachte George und freute sich insgeheim, dass er sie für einen Jungen hielt. „Ernir trainiert halt mit dem Jungen und ist immer wie ein Clown geschminkt.“
„Das ist gut“, meinte Boost zufrieden. „Behalte auch die anderen im Auge, aber ich denke, der Clown wäre eine gute Partie.“
Was meinten die beiden? Wovon sprachen sie? Und was hatte sie vor? George versuchte, noch mehr zu hören. Aber die beiden entfernten sich bereits. Was war das denn jetzt gewesen?, fragte sich George. Für was wäre Ernir eine gute Partie?
Sie schlich sich langsam zurück, rückwärts, damit sie, falls Boost und Finn zurückkamen, sie schnell erblickte. Plötzlich prallte sie gegen jemanden und fuhr erschrocken zusammen. Im ersten Moment dachte sie, Boost habe sie beim lauschen erwischt, aber dann erkannte sie nur Joy und Joel.
„Was machst du denn hier?“, fragte Joy verächtlich.
„Dasselbe könnte ich euch auch fragen“, gab George trotzig zurück.
„Tja…dein Wagen ist aber ganz woanders. Hast du unseren Wagen bestehlen wollen?“, meinte Joel. George bemerkte erst jetzt, dass sie neben dem Wagen von den Zwillingen und ihren Zimmerkammeraden stand. Und gerade neben ihr war ein Fenster. Natürlich sah das für die Zwillinge verdächtig aus und natürlich suchten sie nach jedem Mittel, um George eines auszuwischen.
„Und wenn‘s so wäre?“, fragte George unvermittelt. „Was würdet ihr dann machen? Zu Luy rennen und alles petzen? Oder doch lieber heulend in eurem Wagen verschwinden?“
„Haha, sehr lustig. Diejenige, die hier dann wohl heult, bis du. Denn Luy hat gesagt, bei weiteren auffälligen Tätigkeiten würde er dich nachhause schicken“, sagte Joel verächtlich.
George zuckte zusammen, als habe sie jemand Unsichtbares geschlagen. Nachhause schicken? Wirklich? Würde Luy das machen?
„Siehst du, sie flennt gleich!“, lachte Joy.
George sah ihn finster an, schnaubte und wandte sich zum gehen, an den beiden vorbei.
„Nicht so schnell, Dompteurin“, knurrte Joel plötzlich. Er packte George am Arm und zog sie zurück. Dann drückte er sie an den Wagen. „Wenn du die Dompteur-Show in der nächsten Aufführung ohne großen Fehler absolvierst, bist du dran. Und das meine ich ernst. Versau deinen Auftritt und wir sind zufrieden. Tust du nicht, was wir sagen, passiert was.“
„Und was?“, zischte George. Drohten die Idioten ihr etwa?
„Das wirst du dann schon sehen.“ Joel ließ sie los, dann verzogen sich beide lachend in ihrem Wagen.
George lief eilig von dessen Wagen weg und begab sich zu Ernir. Svenja und Mike waren bereits zu ihrem Wagen gegangen, erklärte ihr Ernir. Und sie sollte ja nicht vergessen, pünktlich zum Abendessen zu kommen. Es war bald soweit. George nickte nur und rannte dann quer über die Wiese zu dem Wagen Nummer 4. Zusammen mit ihren Freunden ging sie zum Abendbrot und später am Abend gingen sie schlafen.
Den ganzen Abend über dachte George über die Drohung der Zwillinge nach. Meinten sie das ernst? Aber was sollten sie schon machen? Kurz bevor sie einschlief kam sie zu dem Entschluss, dass es eine leere Drohung gewesen war, um sie zu verunsichern. Mehr nicht.

© by George28

Kommentare: 6 (Diskussion geschlossen)
  • #1

    Georg Kirrin (Sonntag, 15 Juni 2014 05:31)

    cool geschrieben. Mein 1. Kapitel ist ebenfalls fertig gestellt. Das 2. schaffe ich vielleicht heute! :)

  • #2

    Leonie (Sonntag, 15 Juni 2014 11:58)

    Echt cool und spannend wegen der Drohung!!!!

  • #3

    Hannes (Montag, 16 Juni 2014 17:47)

    Ja, das mit der Drohung macht es echt spannend!

  • #4

    Sarah (Montag, 16 Juni 2014 18:21)

    Echt cool. Ich könte das nicht so gut.

  • #5

    Apple (Montag, 16 Juni 2014 19:18)

    schr schön ich mag dass mit dem Löwen und der DRohung;))

  • #6

    George Kirrin (Mittwoch, 03 September 2014 15:50)

    Cool. Geht's noch weiter??