Der Zirkus (Kapitel 2)

Am nächsten Tag war George schon früh wach. Sie hatte sich bereits angezogen, ihren Lieblingskapuzenpulli und ihre Lieblingshose, und war mit Tim und Lucky auf dem Weg zum Reiterhof. Harry fuhr gerade eine Schubkarre voll mit Pferdemist aus dem Stall. Erstaunt blieb er stehen.
„George?“, fragte er. „Was machst du denn hier? Ich dachte, du verreist?“
„Ja, Harry, ich verreise, da hast du ganz Recht“, zwinkerte George lächelnd. „Aber ich darf Sammy mitnehmen. Vielleicht wird er sogar berühmt!“
„Berühmt?“, fragte Harry neugierig. „Wieso?“
„Weil ich jetzt zwei Wochen bei einem Wanderzirkus mitreise“, prahlte das Mädchen stolz. „Bei einem Wanderzirkus?“, fragte Harry ungläubig. „So richtig mit Vorstellungen?!“
„Jaa“, meinte George und lächelte. Sie hatte ihn beeindruckt, dass machte sie zufrieden, denn sie beeindruckte gerne die anderen Kinder, besonders die Jungs. „Ich werde in einem Zirkuswagen schlafen und ich werde in einem Zirkuszelt auftreten!“
„Wow“, stammelte Harry ehrfürchtig. „Du hast’s gut. Wie gerne würd ich mitkommen…“
„Ja, das wäre wirklich schön“, gab George zu. „Dann würde ich wenigstens jemanden kennen… Ich meine, ja, der Onkel von Mutter leitet zwar den Zirkus, aber kennen tue ich ihn eh nicht.“ Nein, sie kannte ihn wirklich nicht. Das letzte Mal, wo die beiden sich begegnet waren, war, als George noch ein kleines Baby im Alter von 2 Jahren gewesen war. Seitdem hatten die beiden sich nicht gesehen und nichts voneinander gehört. Bis eben gestern Fanny George diese Überraschung mitteilte.
„Na ja, ich muss hier viel schuften. Aber versprich mir, dass du mir das beibringst, was du da lernst. Dann können wir später selber einen Zirkus aufmachen!“, bat Harry und grinste, begeistert von seiner genialen Idee.
„Ja, das mache ich, versprochen“, meinte George und grinste auch. Die Idee war gar nicht mal so übel. „Ich hole Sammy und Sammys Sachen.“
„Ich helfe dir“, bot der Junge sofort freundlich an.
„Danke“, sie strahlte.
Dann gingen die beiden in den Stall und holten Sammys Sachen. George ging zur Weide und pfiff zweimal. Sofort hob ein Pferd den Kopf. Es wieherte erfreut und kam dann zum Zaun getänzelt. George strich dem Haflinger liebevoll über den Kopf und gab ihm ein Leckerli.
„Sammy, wir gehen in einen Zirkus“, erklärte sie ihrem vierbeinigen Freund. „Für zwei ganze Wochen! Und mit Tim und Lucky.“
Die beiden Hunde bellten, als sie ihre Namen hörten. Das Mädchen lächelte die drei an. Dann sah sie auf ihre schwarze Armbanduhr.
„Wir müssen los, sonst verpassen wir den Wanderzirkus!“, rief sie entsetzt. Sie sattelte und trenzte ihr Pferd schnell, Harry half ihr. Dann packte sie Sammys Sachen in eine Satteltasche und schnallte diese fest. Sie stieg auf und rief ihre Hunde.
„Wir sehen uns, Harry“, rief sie und preschte davon.
„Viel Spaß und vergiss dein Versprechen nicht!“, rief ihr der Junge hinterher. Er winkte ihr und grinste. Er freute sich für George. Seitdem die Geschwister gegangen waren, hatte sie sich nicht mehr so sehr gefreut oder für etwas begeistern können.

Als George beim Felsenhaus ankam, stand Fanny schon draußen.
„George! Da bist du ja! Luy hat mich eben angerufen, sie kommen gleich“, erklärte sie lächelnd.
„Wirklich?“, fragte George begeistert.
Ihre Mutter nickte.
George stieg von Sammys Rücken. Dann stellte sie sich neben ihren fertig gepackten Rucksack und pfiff Tim und Lucky zu sich. Man sah ihr die Nervosität an. Und auch die drei Tiere waren aufgeregt. Tim konnte kaum stillsitzen. Dabei hatten die drei bisher immer noch nicht ganz verstanden, warum sie so aufgeregt waren. Sie folgten nur einem einfachen Prinzip: Wenn George aufgeregt ist, dann sind wir das auch!
George streichelte Sammy und sah die ganze Zeit aufmerksam zum Ende der Dorfstraße. Gleich kommen sie um die Biegung, dachte sie. Gleich, gleich, gleich…!
Und Tatsache. Als erstes kam ein knallbunter altmodischer Wagen um die Ecke gefahren, gezogen wurde er von einem großen Elefanten. Begeistert sah George dem Tier und dem Gefährt entgegen. Mit großer Schrift stand auf dem Wagen: ‚Zirkus Drygansil‘ und darunter, in kleinerer Schrift: ‚Seimur, der Clown (Weiß-)‘
George wunderte sich, warum da ‚Weiß-‘ stand und beschloss, es später Luy zu fragen.
Danach kam ein weiterer Wagen, gezogen von einem Pferd, welcher blau angestrichen war. Gelbe Sterne zierten die Wände. Es sah aus wie ein Sternenhimmel. Auch da stand wieder der Name des Zirkus. Diesmal aber stand darunter: ‚Svipa, die Zirkuskönigin!‘ Erst jetzt bemerkte George, dass auf dem Wagen auch ein Seil abgebildet war und links am Rand befand sich eine Zeichnung einer Frau, die durch die Nacht balancierte. Das war dann also Svipa…
Auch hier fragte sich George, was das wohl bedeutete?
Es kamen immer mehr Wagen. Die meisten wurden von Pferden gezogen, aber auch ein zweiter Elefant oder zwei Zebras waren dabei. George bestaunte die Namen und Wagen mit glänzenden Augen.
Es gab einen roten Wagen, auf dem Flammen abgebildet waren, er hieß: ‚Fleygur, der Flammenschlucker‘, aber da war auch ein Wagen, der mit lauter Akrobaten und Bällen und so etwas bemalt war, da stand drauf: ‚Tjopas, die Akrobaten‘.
Es gab noch ‚Mysla und Nils, die Dresseure‘, ‚Snorry, der Bauchredner‘, ‚Fjölnir, der Jongleur‘, ‚Vagna und Glasir, die Dompteure‘, ‚Ernir, der Clown (dummer Ernir)‘ und natürlich gab es noch: ‚Luy, der Direktor‘. Und was auch nicht fehlen durfte, waren die vielen anderen Artisten, die beim Auf- und Abbau halfen, und natürlich auch das Orchester des Zirkus.
George fand, dass die Namen allesamt etwas langweilig waren, Namen sollten doch spannend sein, oder nicht…?
Sie sah noch weitere Wagen. Mehrere Wagen waren beladen mit den Sachen und dem Gerüst des Zeltes. Ein anderer Wagen war mit Käfigen für Löwen und Tiger bestückt. Und wieder andere waren voll mit Nahrungsmitteln. Man fand eigentlich alles, auf diesen Wagen.
Ganz hinten fuhren vier weitere Wagen. Zwei Kinder saßen vorne bei dem ersten Wagen und grinsten George an. Zwei andere Kinder ritten auf Pferden daneben her. Sie winkten George zu. George erkannte, dass die beiden Reiter Zwillinge waren. Sie ähnelten sich wie ein Ei dem anderen!
Die Wagenkolonne hielt. Und aus dem ‚Luy, der Direktor‘-Wagen trat ein Mann. Er sprang von seinem Wagen nach unten und lief lächelnd zu Fanny.
„Na, meine Liebe?“, fragte er.
Fanny und er umarmten sich glücklich.
„Lange hab ich dich nicht mehr gesehen, Onkelchen“, lachte Fanny. „Darf ich dir meine Tochter vorstellen? Luy, dass ist Georgina. George, dass ist dein Großonkel Luy.“
Luy sah zu George und schien überrascht.
„Das ist deine Tochter?“, fragte er ungläubig. „Wie groß sie geworden ist! Und…-“
George sah düster drein. Sie konnte sich vorstellen, was er hatte sagen wollen: ‚Und sie sieht wie ein Junge aus? Welches Mädchen macht denn so was?! Und blablabla…!‘
„Hallo, Luy“, sagte sie schließlich und schüttelte ihm die Hand.
„Hallo…Georgina“, meinte er und gewann sein Lächeln zurück. „Du wirst uns also begleiten?“
George sah immer noch mürrisch drein. „Ich bin George!“
„Deine Mutter hat mir viel von deinen Hunden erzählt. Willst du uns nicht etwas zeigen?“, fragte er, um das Thema zu wechseln. Man sah ihm an, dass er irritiert war. Fanny hatte ihm gar nicht gesagt, dass ihre Tochter…so war…
„Aber klar doch“, meinte George mit einem knappen Lächeln. „Das sind Tim und Lucky“, stellte sie ihre Hunde vor. „Und Sammy, mein Pferd.“
Luy nickte interessiert.
George sah zu Lucky. „Lucky, komm“, meinte sie.
Lucky stand auf und ging zu ihr. Erst mal führte George die einfachen Tricks vor. Sitz, platz, gib Pfote… Dann stand Lucky wieder auf.
„Sitz“, befahl George noch mal und fuhr dabei mit der Hand nach unten. Lucky setzte sich gehorsam. Dann bildete George mit der Hand eine Pistole und rief: „Peng!“ Lucky fiel wie erschossen um. Die Kinder kicherten. Nur die beiden Zwillinge sahen düster drein. George verstand das nicht… Luy nickte. Und George konzentrierte sich wieder auf die Tricks von Lucky.
„Das geht auch, in dem ich klatschte“, fügte sie hinzu.
Dann rief sie Lucky zu sich und stellte sich mit dem Rücken zu ihm.
„Füße!“, befahl sie und deutete auf ihre Füße. „Füße“, widerholte sie und Lucky stellte sich mit seinen Vorderpfoten auf Georges Füße. „Fein“, lobte sie und lächelte. Dann lief sie ein paar Schritte und Lucky blieb auf ihren Füßen stehen. Es sah aus, als ob sie tanzten.
Wieder lachten die Kinder. Und die Gesichter der Zwillinge verfinsterten sich immer mehr. Was sie wohl hatten?, fragte sich George.
George nahm einen Stock, der am Straßenrand lag, und legte ihn Lucky auf die Schnauze. Der Hund verstand und lief vorsichtig hin und her, machte ein paar kleine Sprünge und setzte sich anschließend hin.
Luy klatschte. Die Kinder auch, nur die Zwillinge nicht.
George nahm den Stock weg. „Er kann noch mehr“, meinte sie, „und Tim kann das auch.“
„Das Reicht fürs Erste“, meinte Luy lachend. „Wirklich toll, mein Mädchen. Wenn du noch ein bisschen daran arbeitest, eine Show draus bastelst, dann wäre das der erste Schritt zum großen Erfolg.“
George sah glücklich aus.
Die anderen Kinder auf dem Wagen tuschelten. Die Zwillinge sahen mittlerweile regelrecht wütend aus und schimpften die beiden anderen an. Diese verstummten.
„Ich bin mir sicher, wir finden einen Platz für dich. Such dir einen Wagen aus, indem du schläfst“, meinte Luy freundlich und zeigte auf die vier letzten Wagen.
„Wer schläft denn wo?“, fragte sie vorsichtig.
„Die beiden Zwillinge, Joy und Joel, schlafen in dem ersten Wagen, zusammen mit Sonja. Im zweiten schlafen Marcel, Leonard und Max. Im dritten Wagen sind bis jetzt Leonie und Lucie. Und im vierten sind bis jetzt Svenja und Mike. Im dritten und im vierten ist jeweils noch ein Platz frei“, erklärte Luy.
„Dann nehme ich Wagen 4“, endschied George. Sie wollte auf keinen Fall in einen Wagen voll Mädchen. Und in Wagen Nummer 4 war immerhin ein Junge.
„Gut“, Luy wirkte zufrieden. „Dann bring deine Sachen in den Wagen, ich bin mir sicher, das Svenja und Mike dich willkommen heißen werden.“ Er klopfte ihr auf die Schulter. Aber man sah einen besorgten Glanz in seinen Augen.
George sah ihn kurz an und hätte am liebsten erwidert: „Ich bin nicht mehr klein! Du brauchst dir keine Sorgen zu machen!“ Ließ es aber bleiben. Das Mädchen drehte sich zu ihrer Mutter um und fiel Fanny um den Hals.
„Viel Spaß, George“, meinte ihre Mutter.
„Danke“, George lächelte. „Wo ist Vater?“
„Ach, der ist schon wieder in seinen Arbeiten versunken. Pass auf dich auf.“
„Wo denkst du hin? Dass ich mich einfach ins nächste Abenteuer stürze, ohne auf mich Acht zu geben? Außerdem sind Tim Und Lucky da, die passen auf mich auf.“
„Ach George…“ Fanny lächelte.
 George nahm ihren Rucksack. Sie schleppte ihn zum vierten Wagen, vorbei an den Zwillingen. Diese starrten sie wütend an. Warum, wusste George immer noch nicht. Und es war ihr egal. Sie wuchtete den Rucksack in dem Wagen, dann drehte sie sich nochmal zu Luy.
„Ähm, und was ist mit Sammy?“, fragte sie.
„Ach ja, den kannst du doch sicher anbinden, sodass er mitläuft, oder?“, meinte Luy.
„Ja, mach ich“, rief George. „Tschüss Mutter!“
Sie winkte Fanny und Fanny winkte ihr zurück
„Viel Spaß!“, rief Fanny.
Dann betrat George ihren Wagen. Sie sah zwei Kinder an einem Tisch Karten spielen, achtete aber erst mal nicht auf sie. Sie band stattdessen Sammy einen Strick an die Trense und befestigte ihn an dem Wagen.
„So, mein Lieber. Und reiß dich ja nicht los“, zwinkerte George.
Sie drehte sich zu den Kindern um und zog ihren Rucksack hinterher. Tim und Lucky drängten sich an ihr vorbei und stürmten hinein.
„Wau, wau, wau!“, machten die beiden aufgeregt und schnüffelten erst mal herum.
Der Wagen setzte sich plötzlich in Bewegung, George taumelte. „Woha!“, machte sie und klammerte sich hastig am Türrahmen fest. Die beiden Kinder grinsten verstohlen.
„Hey, das ist nicht lustig“, beschwerte sich George und setzte automatisch ihre undurchdringbare mürrische Miene auf.
„Hey, schon gut“, meinte der Junge und stand auf. Er war blond, groß, schlank und trainiert. Er hatte lauter Sommersprossen im Gesicht und grinste. „Ich bin Mike.“
Das Mädchen stellte sich neben ihn. „Ich bin Svenja“, sagte sie freundlich. Svenja hatte braunes Haar, es war knapp bis unter die Schulter lang, und hatte braune sanfte Augen.
„Ich bin George“, meinte George.
„Hallo, George“, Mike grinste. Er wandte sich an Svenja. „Siehst du, ich hatte Recht. Wir haben ‘nen Jungen ins Zimmer bekommen.“
Svenja verdrehte genervt die Augen „Jaja…Klugscheißer…“
„Ey!“, brummte er.
George lächelte zufrieden. Die beiden hielten sie für einen Jungen. Das machte ihre Blicke von eben wieder wett. Sie hoffte, dass die beiden nicht zu früh rauskriegen würden, dass sie ein Mädchen war…
„Und das sind Tim und Lucky“, meinte sie. Die Hunde bellten.
„Sind die süß!“, meinte Svenja begeistert.
„Ich weiß“, George lächelte.

© by George28

Kommentare: 6 (Diskussion geschlossen)
  • #1

    George (Dienstag, 08 Oktober 2013 15:58)

    Ich sage nur: SUPER!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

  • #2

    Hannes (Dienstag, 08 Oktober 2013 16:00)

    Ich auch!!! Am besten gefällt mir, dass Svenja und Mike George für nen jungen halten.

  • #3

    George28 (Dienstag, 08 Oktober 2013 16:31)

    Ist ja auch mit Absicht ^^ Was denkt ihr, wird passieren? Mit wem wird sich George so richtig in die Haare kriegen?

  • #4

    Hannes (Mittwoch, 09 Oktober 2013 18:21)

    Mit einem der Zwillinge?

  • #5

    George28 (Mittwoch, 09 Oktober 2013 18:24)

    Genau! :) Mit beiden Zwillingen ^^

  • #6

    Magda:) (Montag, 02 Mai 2016 14:05)

    Super geschrieben!!!