Mike und Svenja (Kapitel 3)

George freute sich, dass man die Hunde so schnell ins Herz schloss. Svenja und Mike begannen sogleich, Tim und Lucky zu kraulen. George nutzte die Gelegenheit, um sich alles anzusehen.
Der Wagen war schön groß und geräumig. Es gab ein Doppelstockbett, welches rechts von der Tür stand. Links von der Tür war ein Einzelbett und in dem schlief George. Auf dem Fußboden war ein großer, weicher, bunter Teppich. Durch fünf Fenster konnte man rausgucken. Zwei waren rechts, zwei links und eines war an der anderen ‚kurzen‘ Seiten des Wagens. An der Decke baumelten ältere Lampen, die eher ein schwaches Licht hatten, aber das störte George nicht. Ihr gefiel es so, wie es war. Das verlieh dem Raum einen gemütlichen Glanz. Dann waren da natürlich der Tisch mit vier Stühlen, die standen links hinter dem Doppelbett, und ein großer breiter Schrank, der hinter Georges Bett stand.
Die Wände waren bunt gestrichen. An sich bestand nämlich der Wagen aus Holz und die Balken verliefen senkrecht. Immer ein solcher Balken war mit einer Farbe angemalt, der nächste wieder mit einer anderen und der übernächste auch. Des Weiteren waren überall selbstgemalte Bilder an die Wände geklebt. Auf dem einen waren Akrobaten zusehen, auf dem anderen wiederum Pferde. George fand, dass der Wagen so einfach nur lustig aussah und fühlte sich wohl.
Das Mädchen entdeckte noch einen Ofen, der links in einer Ecke stand. So konnten die Bewohner des Wagens auch im Winter ohne zu zittern schlafen.
Sie überlegte, ob es ihr erlaubt war, dass Tim und Lucky mit in, oder eher auf, ihrem Bett schliefen. Aber, eigentlich war es ihr egal. Selbst wenn es verboten war, sie würde es ja trotzdem machen.
Sie setzte sich an den Tisch und pfiff leise. Tim und Lucky liefen gehorsam zu ihr. Und so wurden auch Svenja und Mike wieder auf George aufmerksam.
„Und die Hunde gehören nur dir?“, fragte Svenja neugierig.
„Ja“, meinte George. „Tim und Lucky gehören mir. Nur mir. Und niemand anderes kann sie befehligen, wenn ich es nicht will. Nur wenn ich in Gefahr bin, hören die beiden auch auf andere.“
„Cool“, meinte Mike mit glänzenden Augen. „Die scheinen ja echt brav zu sein.“
George grinste. „Ja, das sind sie.“ Sie musste aber an die Zeit denken, wo Tim von ihrem Vater rausgeworfen worden war. Das war so gut wie das einzige Mal, wo er ihr nicht gehorcht hatte. Aber da war er ja auch noch sehr jung gewesen.
Svenja lächelte. „Können die auch Tricks?“
George nickte. „Ich durfte Luy ein paar Tricks zeigen. Er fand es wirklich gut“, meinte sie stolz. „Lucky ist der ‚Klügere‘ der beiden, aber Tim lernt auch gerne Tricks, obwohl er mich lieber beschützt.“
„Ich wollte auch schon immer einen Hund“, meinte Mike. In seinen Augen lag eine Sehnsucht, die George zu ergründen versuchte. Aber sie verstand es nicht ganz… Mike schien ihren Blick zu bemerken. „Ich hatte mal einen, aber er ist gestorben…“
„Oh…“, das Mädchen sah ihn erschüttert an. „Das tut mir Leid für dich.“
„Ach, nicht schlimm. Ich hatte gedacht, dass ich einen neuen Freund bekommen würde, aber das war nicht der Fall. Meine Familie…na ja, egal.“
Mehr sagte er nicht, aber George wusste, dass er etwas Wichtiges verschwieg. Trotzdem wollte sie ihn nicht weiter drängen. Sie kannte das Gefühl, wenn man sich noch nicht traute, jemandem Geheimnisse anzuvertrauen. Man musste die anderen erst kennenlernen.
Svenja sah Mike mit hungrigen Augen an. George musterte sie. Svenja war anscheinend sehr neugierig und wollte unbedingt alles wissen. So wie George sie einschätzte, steckte sie vermutlich ihre Nase in alles, was sie fand. Sie wusste, dass sie sich vor ihr in Acht nehmen musste. Nicht, dass sie herausfand, das sie ein Mädchen und kein Junge war.
George sah wieder zu Mike. Sie konnte spüren, wie unbehaglich ihm war. Er traute sich nicht mal mehr, eine von beiden anzusehen.
„Und was macht ihr hier immer so?“, fragte sie deshalb.
„Was meinst du genau?“, fragte Mike und lächelte sie dankbar an.
„Na ja…wie läuft es hier so ab? Habt ihr einen Zeitplan? Was sind eure Aufgaben und so?“
„Na ja, also, einen Zeitplan aufgeschrieben haben wir nicht, aber jeder weiß, das wir um 8, meiner Meinung nach viel zu früh, aufstehen müssen, um das Frühstück nicht zu verpassen. Zum Frühstück, Mittag und Abendbrot halten wir an, wenn wir unterwegs sind. Wenn wir uns aber für ein paar Tage bei einem Dorf verschanzen, wegen Aufführungen, dann halten wir natürlich nicht an“, erklärte Mike. „Mittagessen gibt es immer Punkt 12 Uhr und Abendbrot haben wir immer um 18 Uhr. Meistens dürfen wir bis 21-22 Uhr wach bleiben, aber spätestens 22 Uhr kommt Luy durch die Wagen und kontrolliert, ob wir alle brav in den Betten liegen.“
Mit dem Aufstehen hatte George schon mal keine Probleme, sie stand ja eh immer sehr früh auf, um so viel wie möglich vom Tag zu haben.
„Und unsere Aufgaben sind zum Beispiel die Tiere füttern und pflegen. Nur bei den Tigern und Löwen dürfen wir das nicht tun, das machen immer Vagna und Glasir. Aber wir dürfen mit den Pferden arbeiten und manchmal sogar ausreiten“, meinte Svenja. „Aber nur, wenn Mysla es uns erlaubt. Und meistens lässt uns Nils mit seinen Hunden spielen. Du könntest mit Tim und Lucky bestimmt bei Nils‘ Auftritt mitmachen!“
„Stimmt, das wäre bestimmt cool“, meinte Mike und grinste.
George nickte zustimmend. „Aber Sammy, mein Haflinger, könnte bei…äh, Mysla, richtig?, mitmachen. Aber nur wenn ich dabei bin.“
„Du hast ein Pferd?“, fragte Svenja ungläubig.
„Ja, ich habe ihn draußen angebunden“, meinte George und lächelte zufrieden.
„Ein Junge und ein eigenes Pferd…“, nuschelte Svenja leise.
Georges Grinsen wurde ein Stück breiter. „Ja, ein Junge und ein eigenes Pferd“, widerholte sie wohlwollend. Ihr gefiel es sehr, dass sie für einen Jungen gehalten wurde. Und sie kostete es immer voll und ganz aus.
„Jetzt mach mal halb halblang, Svenja!“, brummte Mike. „Ich reite doch auch gerne!“
„Stimmt auch wieder“, gab Svenja lachend zu.
„Aber, ich habe da eine Frage, warum nennen sich die Zirkusleute alle so…so…“, fragte George zögernd.
„…komisch?“, schlug Mike vor.
„…seltsam?“, meinte Svenja.
„Meins war besser!“, rief Mike.
„Nein, meins war das bessere!“, wiedersprach Svenja.
George lachte. „So komisch und seltsam.“ Sie betonte das ‚Und‘ besonders. „Ihr beide habt Recht.“
„Stimmt“, Svenja lächelte.
„Na ja…“, murmelte Mike und grinste.
Svenja gab ihm einen Klapps auf den Hinterkopf. „Wie war das?“
„Ja, Sie haben Recht, eure Hoheit“, sagte er gespielt unterworfen.
George konnte sich vor Lachen nicht mehr halten. Svenja und Mike stimmten ein. Und schon bekam George einen Lachkrampf. Kurzerhand purzelte sie vom Stuhl. Auf dem Boden rollte sie sich vor Lachen und Mike und Svenja mussten nur noch mehr lachen. Und schwupp, war der nächste unten. Diesmal war es Mike. Als Svenja dann auch noch anfing, Mike zu kitzeln, ging gar nichts mehr. Alle drei lachten und lachten und lachten.
Bis George sich wieder beruhigte und aufsetzte. „Und, warum nennen sie sich jetzt so?“, fragte sie keuchend und musste sich zusammenreißen, um nicht wieder mit lachen anzufangen.
„Weil“, begann Mike und setzte sich auf Georges Bett, „wir hier alle einen Künstlernamen haben.“
„Und warum?“
„Na ja, das macht das ganze spannender. Wenn die Zuschauer einen einfachen Namen wie Max hören, dann klingt das doch langweilig. Heißt aber jemand Fleygur, da fragt man sich doch gleich, wer ist das? Und die Neugierde ist geweckt“, erklärte Svenja schmunzelnd.
„Stimmt“, sagte George und grinste. „Habt ihr auch Künstlernamen?“
„Ja“, meinten beide im Chor.
„Und wie heißt ihr?“, fragte George wissbegierig.
„Ich bin der Stormur“, posaunte Mike stolz.
„Und ich die Gydia“, sagte Svenja zufrieden.
„Stormur und Gydia?“, fragte George. „Die hören sich wirklich interessant an.“
„Und du musst dir auch einen Namen ausdenken!“, bemerkte Svenja.
„Was? Ich? Jetzt?“, stammelte George nervös.
„Na ja, vielleicht, ja?“, meinte Mike und grinste. „Auf jeden Fall einen Jungs-Namen. Wie wäre es mit…hm…Nahid?“
„Nahid?“, George runzelte die Stirn. „Vielleicht…“ Aber sie fragte sich trotzdem. Wie sollten sie einen richtigen Namen finden, wenn die beiden nicht wussten, wer sie wirklich war? „Lasst mir Zeit, okay? Ich werde schon einen finden.“
„Na gut“, meinte Svenja ein wenig enttäuscht.
„Hey, ich brauche einen Namen, der zu mir passt. Und den kann ich nur alleine finden“, erklärte George.
„Jaja, schon gut“, Mike hob abwehrend die Hände. „Wir haben‘s kapiert.“
„Gut“, meinte George. „Und was machen wir jetzt?“
„Wir könnten…“, begann Svenja.
„…uns draußen auf den Wagen setzten und die Fahrt genießen“, beendete Mike den Satz. „Man kann dann immer voll viel von der Landschaft sehen.“
„Genau“, meinte Svenja begeistert. „Einmal haben wir sogar ein Reh gesehen!“
George lächelte. Sie sah oft Rehe und oft die Landschaft, aber sie stimmte zu. Sie konnte nie genug von der Natur bekommen.
„Gut“, meinte sie und lächelte. „Ich kann ja bestimmt auch auf Sammy reiten, oder?“
„Ja, na klar!“, meinte Mike und lachte.
„Und Tim und Lucky können sich dann auch frei bewegen. Das wird ihnen gut tun“, fügte George hinzu.
Die beiden Hunde bellten. Svenja und Mike öffneten den Wagen und sprangen hinaus, Tim und Lucky folgten. George hörte, wie die vier losrannten, um beim Wagen zu bleiben und dann schließlich wie Mike und Svenja vorne wieder raufsprangen.
Das Mädchen sah sich nochmal alles an.
„Das werden schöne Ferien“, meinte sie.
Dann sprang auch sie aus dem Wagen, nicht ohne vorher die Tür zu schließen, löste Sammy vom Strick und kletterte auf den Sattel. Und schon trabte sie neben dem Wagen her.

© by George28

Kommentare: 2 (Diskussion geschlossen)
  • #1

    Hannes (Donnerstag, 10 Oktober 2013 12:38)

    Super geschrieben. Du machst das einfach toll!

  • #2

    Marlene (Mittwoch, 24 Dezember 2014 21:15)

    Einfach einzigartig!